Dienstag, 15. September 2020

Hurra

Wie war das noch gleich mit der Relativität? Naja, egal. Das Einzige, was mir noch schwer fällt, ist diese anerzogene Freude auf das Wochende loszuwerden. Eine Freude auf ein imaginäres Ende eines imaginären Zyklus. Der Grundpfeiler unserer durchorganisierten Gesellschaft. Hurra. Für mich beschränken sich die Tage in ihrer Bedeutung, ob der Supermarkt geöffnet hat, oder nicht. Ihre Namen sind völlig unwichtig. Sich an einem bestimmten Tag, an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Uhrzeit zu treffen, ist für meine derzeitige Situation nicht nötig. Ich kenne niemanden und möchte niemanden kennenlernen. Natürlich gibt es ein bis zwei Ausnahmen, doch diese sind zumeist spontaner Natur, sodass ich, wenn ich möchte, ebenfalls spontan, mit angemessener Ablehnung reagieren kann. Wie dem auch sei. Die Tage scheinen sich in einer gleichmäßig vorüberziehenden Strömung aufzulösen. Sie verlieren ihre Festigkeit, das, was sie zu einem eigenständigen Individuum hat werden lassen. Ein Freitag zum Beispiel, könnte man durchaus als einen der stärksten Tage von allen bezeichnen, klingt in ihm doch das Wort "frei" mit. An diesem Tag befreien wir uns von den übrigen, bis uns die untergehende Sonne am Sonntag langsam suggeriert uns wieder mit dem abzufinden, was uns unweigerlich bevorsteht. Ich hingegen habe es beinahe geschafft, mich von dem Benennen der Zeit vollkommen zu lösen. Die Sonne geht auf, die Sonne geht unter, und dazwischen werde ich sterben. Doch vermutlich kommt alles ganz anders. Sobald es von mir erwartet wird, werde ich wieder den Sattel der Zeit besteigen, und um sieben Uhr morgens in irgendeinem heruntergekommenen Laden stehen, und dir sagen, in welchem Gang du den  Gin findest, von dem sich zuhause die Flaschen stapeln. Hurra.

Ocean Fresh

Es fällt mir schwer mich zu entscheiden. Es gibt gelbe, rosane, grüne und blaue Schwämme. Das Angebot ist riesig. Ob ich Ocean Fresh, Citrus Clean oder Classic Shine nehme, weiß ich noch nicht. Der Duft des Spülmittels ist mir bisher nicht aufgefallen. Ich spüle selten. Ich würde gerne irgendjemandem sagen, dass ich es hasse, aber es gibt niemanden, dem ich mich anvertrauen möchte. Ich möchte nicht einmal hier sein. Dann entscheide mich doch für den blauen Schwamm und Ocean Fresh, weil ich plötzlich an das Meer denke und an einsame Dünen. Ich bin mir sicher, dass die Menschen in der Werbeagentur genau das von mir erwartet hatten. Jetzt habe ich alles was ich brauche. Das Spülmittel sieht gut neben dem dreckigen Geschirr aus. Ich drapiere den Schwamm daneben. Ich habe noch etwas Brot und Käse und lege beides auf eine alte Zeitung. Ein Krimi im ersten Programm. Wiederholung. Aber das macht nichts.

Ein extragroßes Stück

Da ich nun schon seit sechzehn Stunden im Bett lag und außer, dass ich das Radio an und wieder aus, sowie lauter und leiser gestellt, nichts getan hatte, bis auf mir zwischenzeitlich ein großes Stück Salami abzuschneiden, auf dem ich gelangweilt herumkaute, beschloss ich den Rest des Tages ebenfalls nichts zu tun. Wenn ich es geschafft hätte im Schlaf zu sterben, wäre daran nichts verwerfliches gewesen. Im Gegenteil, man hätte mir das Stück Salami aus dem Rachen entfernt und mich wie jeden anderen leblosen Gegenstand aus der Wohnung getragen. Vermutlich hätten die Angestellten der Möbelspedition bei Kaffee und Zigarette genervt auf die Uhr gesehen, weil sich der Fahrer des städtischen Bestattungsunternehmens ausgerechnet an diesem Tag für einen Umweg entschied. Dann wäre alles ganz schnell gegangen. Sobald sich der Reißverschluss des Leichensackes über meinem Gesicht zugezogen hätte, wären die kläglichen Überreste meiner Existenz in einem großen, leeren LKW verschwunden, in dem noch mindestens zehn ähnliche Leben Platz gefunden hätten. Doch dann klingelte es an der Tür. Ich stand nicht sofort auf, um nicht den Eindruck zu erwecken, dass ich zuhause sei, sondern setzte ein Fuß nach dem anderen auf den Boden, schlich mich zur Tür, und spähte durch den Türspion. Zu meiner Erleichterung war niemand zu sehen. Etwas Wichtiges konnte es ohnehin nicht gewesen sein. Für wichtige Dinge sind andere Leute zuständig. Leute, denen es nichts ausmacht sich mit wichtigen Dingen zu beschäftigen. Auf dem Weg zurück ins Bett schnitt ich mir noch ein extragroßes Stück Salami ab, damit ich bis zum nächsten Morgen keinen Grund mehr hatte, um aufzustehen. Dann schlief ich ein.

Wir waren alle hier

Die an den Paarungsruf des Kasuaren, ein großer flugunfähiger Vogel,dessen Verbreitungsgebiet sich hauptsächlich auf die Insel Neuguinea beschränkt, erinnernde Stimme der Kassiererin, war das Erste, was mich an diesem Tag dazu veranlasste, zwischen einem Atemzug für ein paar Sekunden die Luft anzuhalten, um sie in Form eines entnervten Stöhnens wieder auszuatmen. Das Zweite, war ein älterer Herr, der seine Maske stolz zwischen Unterlippe und Nase trug, sodass sie zumindest seinem Schnurrbart den nötigen Schutz vor Ansteckung bot, und der sich vor dem Bezahlen noch einmal kräftig in die Hand hustete. Die Frau, die ohne Abstand hinter mir stand und eine von diesen dünnen Tüten, mit denen es einem freisteht loses Obst und Gemüse in schickem Plastik zu verpacken, als improvisierte Maske trug, interessierte mich zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr. Wir waren alle hier. Gemeinsam gefangen in dem früher oder später endenen Kreislauf der modernen Nahrungsbeschaffung. Die Natur hat vermutlich den schwierigsten Job von allen, und ich befürchte, dass sie gerade viel zu viel mit sich selbst zu tun hat, als sich um den Menschen zu kümmern. Ich sehe das Projekt als gescheitert an und unterwerfe mich den Wirrungen des Lebens. Ich ging einen Schritt nach vorn, bezahlte kontaktlos und dann wieder nach Hause.

Vielleicht hab ich Glück

Um den ungebetenen Besuch ertragen zu können, begann ich zwei Stunden zuvor damit mich zu betrinken. Sicher, ich hätte auch absagen können, als ich die Gelegenheit dazu hatte, doch ich gab mich dem Gefühl hin, dem in einer Gesellschaft als erstrebenswert geltenden sozialen Kontakt, noch eine letzte Chance zu geben. Ein Fehler. Sobald die ersten Minuten vorüber und das Procedere des unausweichlichen Erzählens des Erlebten der letzten Wochen überstanden war, sah ich zum ersten Mal auf die Uhr. Nach etwa einer Stunde setzte mir der Alkohol zu und es wurde immer schwieriger Interesse zu heucheln. Schließlich stand ich auf und übergab mich im Badezimmer. Sofort ging es mir besser. Jetzt hatte ich einen nachvollziehbaren Grund, den Abend vorzeitig beenden zu müssen, und schloss die Tür, nicht ohne mich noch einmal zu entschuldigen und für nächstes Wochenende zu verabreden. Vielleicht habe ich Glück und breche mir ein Bein.

Camel&Wodka

Es war ernüchternd. Meine Beine trugen mich gerade so die letzte Steigung der Straße hinauf, aber es hätte mir auch nichts ausgemacht, auf der Hälfte der Strecke zu sterben. Es hatte nicht mehr als eineinhalb Stunden gebraucht, um meine anfängliche Euphorie in das zu verwandeln, was sie eigentlich war, Verzweiflung. Der Anblick ihrer Existenz widerte mich an. Während sie sich in den Schaufenstern spiegelten, vermied ich es ein Blick zu riskieren. Ich betrat den nächstgelegenen Supermarkt und kaufte ein Fläschchen Wodka und eine Schachtel Camel. Dinge, auf die man sich verlassen kann. Ich habe mir nichts vorzuwerfen.

Mathis

Mathis und ich haben augenscheinlich nicht viel gemeinsam. Seine Eltern gaben ihm einen französischen Vornamen, obwohl beide deutsch waren. Vielleicht stand seine Mutter auf eine bestimmte Daily-Soap und hatte sich  in die männliche Hauptrolle namens Mathis verliebt: einst vagabundierender Taugenichts und nun wiedergefundener Erbe eines Weinimperiums. Oder der Vater seines Vaters wurde im zweiten Weltkrieg, trotz aller Umstände, von einem französischen Soldaten mit dem Namen Mathis, vor dem sicheren Tod gerettet. Wer weiß das schon, irgendeinen Grund gab es bestimmt. Das seltsame ist, dass der Name wirklich zu ihm passt. Mathis bedeutet "Geschenk Gottes", und vielleicht ist er das. Er steht auf glänzende Dinge. Alles an ihm glänzt. Der Aufdruck seines T-Shirts, seine goldene Kette um den Hals, seine Uhr und selbst seine Schuhe. Ich hingegen sehe irgendwie verbrannt aus. Ich trage dasselbe schwarze Hemd wie immer, eine schwarze Hose und irgendwelche dunklen Schuhe. Ich möchte nicht auffallen. Die Dinge sind eben wie sie sind. Mathis und ich kennen uns schon eine Ewigkeit. Ab einem bestimmten Alter steht es einem zu das Wort Ewigkeit in Bezug auf Freundschaften zu verwenden, davor klingt es eher naiv, weil man sich noch nicht darüber im klaren ist, wie lange oder kurz zwanzig Jahre sein können. Die Krisen, die wir zu überwinden hatten und haben, haben uns das ein oder andere Mal auseinandergetrieben, aber wir haben uns nie wirklich aus den Augen verloren. Mathis ist vor zwei Tagen aus dem Gefängnis entlassen worden und hat sich einen durchaus beachtenswerten Körper antrainiert. Das ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich ihn in so guter Verfassung sehe. Seit meiner letzten Beziehung vor fünf Jahren habe ich mich, nun ja, etwas gehen lassen. Wenn man damit sagen möchte, dass ich ein paar Kilos zu viel habe. Was soll's. Er hält mir seinen Arm in typischer Kraftpose hin und sagt, ich solle seinen Bizeps anfassen und dann seine Brustmuskulatur auf Festigkeit überprüfen. Ich tue beides nur, um ihm einen Gefallen zu tun. Er hat es verdient sich zu freuen und ich freue mich mit ihm. Da er die meisten seiner Verbrechen unter dem Einfluss von bewusstseinserweiternden Substanzen und Alkohol beging, wohnt er vorübergehend in einem kleinen Zimmer innerhalb einer WG für Menschen mit Suchterkrankung. Er hat nicht viel, sagt er, "leichtes Gepäck", als wäre jedes Gramm mehr eine Belastung, womit ich ihm absolut zustimme, und dennoch, ich meine etwas Bedauern in seiner Stimme zu hören. Wir sitzen und reden so wie immer. So wie früher. Doch Mathis nimmt jetzt einen großen Schluck aus seiner Wasserflasche und öffnet sich danach eine Dose Energy. Seine Dritte heute, sagt er.  Dass mit dem Koffein und dem Zucker, sei eine Art der Suchtverlagerung, haben die Ärzte und Psychologen gesagt, aber das würde sich mit der Zeit wieder legen. Ich trinke und rauche, öffne mir innerhalb einer Stunde das dritte Bier. "Trink ruhig...", prostet er mir zu, "...mir macht das nichts. Ich darf sowieso nicht trinken, Pisstests und den ganzen Scheiß, verstehst du?". Ich verstehe.

Es ist einfach nur heiß

Der Morgen ist genau so, wie ich ihn mir vorgestellt habe. Die Straßen sind noch nass vom nächtlichen Regen und es liegt eine Kühle in der Luft, die einen zwingt nach Monaten des Schwitzens wieder eine Jacke anzuziehen. Ich vermisse den Sommer nicht. Ich mag ihn nicht einmal besonders. Mit den meisten Aktivitäten, oder dem, was die Leute so tun, wenn es Sommer ist, kann ich nichts anfangen. Es ist einfach nur heiß. Ich habe mir vorgenommen endlich das Buch abzuholen, welches ich bei einer Verlosung gewonnen habe. Seit einer Woche schaffe ich es nicht aufzustehen. Ich habe mit schweren Schlafstörungen zu kämpfen. Womöglich würden sie sich genau heute dazu entscheiden, es erneut zu verlosen und dieses Risiko möchte ich nicht eingehen. Es wird ein langer Spaziergang bis in das nächste Viertel werden, welches sich im Westen der Stadt befindet. Viel weiter von dem Westen entfernt, in dem ich wohne. Es wird Zeit.

Rabatt

Zu meinem Bedauern ließ sich der morgendliche Ausbruch an Freude völlig rational erklären und war so schnell vorüber, dass sich eine als allgemein gut bezeichnende Stimmung gar nicht erst einstellen konnte. Ich verließ den Supermarkt also trotz anfangs übersehenem Rabatt auf Backwaren zwischen sieben und neun Uhr morgens mit einer Tüte Brötchen, genauso deprimiert, wie ich ihn betreten hatte. Die Welt war noch immer schlecht und das Leben an Absurdiät nicht zu überbieten. Zumindest hatte ich etwas Geld gespart, das ich ein paar Stunden später in eine Flasche Weißwein investieren würde. Irgendwie musste man ja das Fehlen lebenserhaltender Glückshormone adäquat ausgleichen.

Amigo

Nachdem ich mir vorgenommen hatte so viel wie möglich zu schlafen, stellte ich das Radio an und ließ mich berieseln. Sie erzählten gerade von einem Typen namens Bruno und wie er als Junge obdachlos war und mit dem Hunger kämpfte. Eines Nachts schlich er sich in eine leere Scheune, weil er fror und auf der Suche nach einem sicheren Platz zum Übernachten war. Da kam ein Streuner mit derselben Idee in die Scheune und legte sich zu ihm. Beide überlebten. Später schaffte es Bruno irgendwie auf die Uni, studierte Medizin und wurde Arzt. Und eines Tages, als Bruno gerade erschöpft im Bett lag, kratzte ein alter Hund an seine Tür, bis er sie öffnete. Der Hund lief hinein, legte sich zu seinen Füßen und starb. Er begrub ihn hinterm Haus und steckte ein kleines Kreuz in den Boden, in welches er das Wort "Amigo" geschnitzt hatte. Und als er Vater eines Sohnes wurde, schenkte er ihm einen kleinen Welpen und sagte zu ihm: "Pass gut auf ihn auf und er wird dasselbe für dich tun!". Als ich irgendwann völlig verschwitzt wieder aufwachte, dachte ich an meinen ersten Hund und wie ich mit ihm spielte und Gassi ging und wie er bei mir im Bett schlief, wenn es kalt gewesen war. Und für einen kurzen Moment war es mir so, als wäre er gerade noch dagewesen. Dann legte ich mich wieder hin und hoffte das Beste für all die Brunos y Amigos da draußen und schlief wieder ein.

Pünktlich

Pünktlich um 20:15 Uhr gab der Fernseher den Geist auf. Ein paar Tage zuvor wurde die eine Seite des Bildschirms schwarz, dann die andere. Ich lag mit Rückenschmerzen im Bett und fluchte bei jeder Bewegung. Alles ging kaputt. Kühlschränke, Fahrräder, Öfen, Wohnungsschlüssel, Computer, Spiegel, der Wasserhahn in der Küche, die Toilette und selbst die Abflüsse waren verstopft. Da lag ich also, unfähig mehr als zehn Schritte hintereinander zu gehen und dachte an nichts. Ich stellte das Radio an. Erst hatte ich es mit lesen versucht, aber ich fand keine Position, in der ich keine Schmerzen hatte. Alles was ich tun konnte war zuhören. Ich hörte so lange zu, bis ich einschlief und davon träumte, wie ich mit Krokodilen und Wölfen kämpfte und als Belohnung in ein Haus am Strand ziehen durfte. Und als ich darin wohnte, fiel plötzlich die Küche auseinander, dann das Badezimmer und schließlich das ganze verfluchte Haus, das mich unter sich begrub. Dann wachte ich auf. Ich drehte mich so gut ich konnte zur Seite, nahm einen Schluck aus der Flasche und war froh hier zu sein. Hier, genau an diesem Ort, mit den Rückenschmerzen und der Stimme der Radiomoderatorin, die mir sagte, dass es heute wieder bis zu 35 Grad wird und es vermutlich bis Ende der Woche so bleibt.

Donnerstag, 30. Juli 2020

„L&R 1955“

Selbstverständlich versuchte ich den rötlich schimmernden Ring, als ich ihn auf dem Parkplatz vor meinem Lieblingsdiscounter fand, sofort an meinen Zeigefinger zu stecken, in der Hoffnung irgend etwas Magisches würde geschehen, doch er ging mir gerade bis über die Fingerkuppe. Ich hatte mir schon ausgemalt welchen Schabernack ich treiben würde, könnte ich mich unsichtbar machen, oder die Zeit anhalten, aber meine dicken Wurstfinger haben mir wieder einen Strich durch die Rechnung gemacht. Auf der Innenseite des Rings war jedenfalls etwas eingraviert „L&R 1955“, was auf einen eventuellen ideellen Wert schließen ließ , aber vor allem ein möglicher Hinweis auf das Alter des Trägers oder der Trägerin war. Da sich zwischen Lieblingsdiscounter und hippem Laden für Kinderwägen im Retro-Designe, ein Altersheim befand, war mir schnell klar, was ich als nächstes zu tun hatte. Ich hinterließ also auf Bitte der Dame an der Rezeption meinen Namen und Telefonnummer und ging in der Hoffnung nach Hause das Richtige getan zu haben. Einige Tage später meldete sich eine alte Frau am Telefon, die mir hörbar gerührt erzählte, wie froh sie darüber sei, den Ring wieder zu haben und was für einen immensen Wert er für sie habe. Weil sie sich unbedingt erkenntlich zeigen wollte, schlug sie mir einen kleinen Finderlohn vor und ich willigte ein. Und dann, ganz plötzlich, fühlte ich mich doch ein wenig verzaubert. Denn auch ohne im Besitz  von magischen Fähigkeiten gewesen zu sein, hatte ich es geschafft, zumindest an diesem Tag, die Welt ein bisschen besser zu machen.

Mittwoch, 13. Mai 2020

En Vogue

Wie lange der Schimmel brauchte, um das gesamte Spülbecken auszufüllen, ist mir nicht bekannt. Ich schüttete nur immer wieder das Nudel- und Kartoffelwasser, das wie Superdünger gewirkt haben musste, über das dreckige Geschirr, das inzwischen selbst aussah, als stünde es kurz davor ein Bewusstsein zu entwickeln. Eines Nachts stand ich also auf, um zu pinkeln, als mir ein strenger Geruch in die Nase stieg, der seinen Ursprung unweigerlich in der Küche haben musste. Je näher ich ihm kam, desto mehr erinnerte er mich an vergorene Milch. Ich beeilte mich so schnell wie möglich vorbei an der Küche ins Badezimmer zu kommen und hielt dabei Nase und Mund geschlossen. Eine Lösung musste her. Aber nicht jetzt, dachte ich, morgen, morgen reicht völlig. Spülen. Luft anhalten. Zurück ins Bett.
Ich war schon immer stolz auf meine Fähigkeit zu improvisieren. Ein Problem, mit dem Minimum an Möglichkeiten zu lösen, und sei es auch nur vorübergehend, lässt mich regelmäßig über mich hinauswachsen. Eingeschnappte Türen mit einem zusammengefaltetem Stück Pappe zu öffnen, weil sich mein fünfundsechzigjähriger Nachbar nachts um halb zwei aus seiner Wohnung sperrt, ist dabei einer meiner leichtesten Übungen. Für gewöhnlich befasse ich mich mit verstopften Abflüssen, der Überbrückung elektronischer Kontakte, oder der Umfunktionierung von Möbelstücken. In diesem Fall, ging es darum, unerwünschte Tätigkeiten wie Abwaschen, unter Berücksichtigung des Geruchsproblems und zugleich wünschenswertem Wachstumsrückgang besagtem Schimmel, soweit wie möglich hinauszuzögern. Ich dachte sofort an die Erste-Hilfe-Decke, die irgendwo noch rumliegen musste und striktem Düngerverbot. Dies bedeutete, den Topf mit dem kochenden Wasser, bis ins Badezimmer zu tragen und es wahlweise in die Toilette, das Waschbecken oder die Badewanne zu gießen. Die Erste-Hilfe-Decke konnte ich nicht finden, also blieb das schwerwiegendere Problem bestehen. Das nächste an was ich dachte, war die Bibel: Auge um Auge, Zahn um Zahn, Gleiches mit Gleichem vergelten. Wieso eigentlich nicht? Ich hatte schon immer darauf gehofft, dass mir meine kindliche Gottesfurcht eines Tages etwas nützen würde. Die Badarmaturen standen voll von kleinen Parfümpröbchen meiner Ex-Freundin, die sie ständig aus den Modezeitschriften herausriss, aber nie kaufte. Ich glaube, sie war mehr am Klauen interessiert, als am Kauf eines neuen Duftes. Ich öffnete eines nach dem anderen und entschied mich für das am stärksten duftende und tröpfelte es auf verschiedene Stellen über das Geschirr, das mit leisen Zischgeräuschen antwortete. Zumindest bildete ich mir das ein. Vorsichtig hielt ich meine Nase darüber, fächerte mir respektvoll etwas Luft zu und atmete in kleinen Portionen. Man kann es sich ungefähr so vorstellen, als wolle man den Gestank eines drei Tage alten Kadavers mit einem Wunderbaum neutralisieren. Ein Teil des Erbrochenen konnte ich mit meinen Händen auf dem Weg zur Toilette auffangen. Aber so schnell gab ich nicht auf. Vielleicht brauchte ich einfach einen ganzen Wald voller Wunderbäume. Ich machte mich sauber, mischte das Parfüm aller Fläschchen, die ich finden konnte in einem alten Zahnputzbecher zusammen und kippte es mit einer Handbewegung in Richtung Kadaver. Ich rannte zurück ins Schlafzimmer, um mir ein T-Shirt vors Gesicht zu binden und erinnerte mich an den alten Bettbezug aus meiner Kindheit, auf dem alle vier Turtles in wilden Kung-Fu-Posen abgebildet waren. Die Perfekte Abdeckung.
Zwei Wochen später hatte sich der Schimmel tatsächlich, bis auf wenige Stellen zurückgezogen und es gelang mir mit Hilfe geeigneter Schutzausrüstung die Gläser, Teller und Töpfe in das heiße Wasser der Badewanne zu manövrieren, ohne dem Risiko einer Kontamination ausgesetzt zu sein. Wenn ich mir also das nächste Mal eine Zeitung kaufe, werde ich mich sicherheitshalber ausreichend über die neusten Trends der Modebranche informieren. Es lohnt sich immer zu wissen, was gerade en vogue ist.

Montag, 4. Mai 2020

Allzeit bereit!

Abgesehen von der nächtlichen Tyrannei von der Irren aus dem Vierten, hat sich jetzt auch noch ein unsichtbarer Mann dazugesellt, der jeden Morgen zu derselben Zeit dreimal niest und sich danach die Nase putzt, als bliese jemand zum ersten Mal in eine Trompete. Ich wohne jetzt seit zehn Jahren hier und wurde selbst schon für tot gehalten, habe eine Frau vor ihrem Arschlochfreund gerettet, der sie nachts über die Straße prügelte, mein Fenster wurde mit Eiern beworfen, ständig roch es aus unerklärlichen Gründen nach Gras und ich weiß nicht mehr wie oft die Polizei, Feuerwehr und oder Krankenwagen hier waren. Alles in Allem ein recht ruhiges Viertel. Doch dieser Typ, der sich jetzt einbildet, er müsse ständig unter meinem Fenster niesen, geht wirklich zu weit. Ich habe ihn noch nie gesehen, immer nur gehört, aber morgen früh werde ich meine alte Trompete aus dem Keller holen, und ich werde bereit sein.

Achim

Zumindest geht es der Fruchtfliege gut. Eine von ihnen sperrte ich gestern Nacht zusammen mit einer kleinen Spinne, die mich freundlich um Aufmerksamkeit bat, indem sie mir über mein Gesicht lief, während ich vor vier Uhr morgens versucht habe einzuschlafen, in ein Glas. Doch alles was sie tat, war panisch in die andere Hälfte des Glases zu flüchten, nachdem sie von der Fliege sanft mit den Flügeln berührt wurde. Daraufhin befand ich es doch als keine gute Idee, weiterhin Gott  zu spielen und nahm Achim, irgendwie erinnerte mich die Spinne sofort an Achim aus der Grundschule, der es überhaupt nicht leiden konnte, wenn ihn irgendjemand oder irgendetwas berührte und zur Verteidigung vom einen Ende des Zimmers in das andere und wieder zurück rannte, in Einzelhaft. Ich dachte mir: ok, Achim, Brudi, es ist…äh, auf jeden Fall viel zu spät, und ich hab jetzt nicht die Nerven, dich an einem geeigneten Ort in die Freiheit zu entlassen. Achim hätte es hier gut gehabt. Dank dem vielen Leergut, ist die Bar für Fruchtfliegen vierundzwanzig Stunden geöffnet, und die ein oder andere wäre ihm sicher ins Netz gegangen. Naja, kann man nichts machen. Seit heute Morgen ist Achim wieder in Freiheit. Ich wünsche ihm alles Gute und hoffe, dass er seine Aphephosmophobie, mit geeigneter Therapie, in den Griff bekommen wird.

Ich wache auf.

Der Barkeeper fragt mich, ob ich die Zwei da hinten kenne. Sie sitzen am Ende des Tresens, der geschätzt über zehn Meter lang sein muss. Ich antworte: "Nein", und er holt eine Flasche mit gelber Flüssigkeit hervor. Ich denke an Pfirsichsaft und er sagt: "Selbstgemacht!", als wolle er mich warnen. Er schenkt ein. Einen für mich, einen für ihn, und dann nochmal, und dann... Dann spielt er Rio Reisers "Ich bin müde". Die Zwei da hinten beginnen zu tanzen. Er schenkt noch einen ein. Einen für mich, einen für ihn und ich sage: "Alles Schutt und Asche, alles Rauch und Staub.
Alles Trick und Masche, alles welkes Laub. Ich bin müde!". Ich wache auf

Versprochen!

Ich träume von Matthias Schweighöfer und Til Schweiger, der sich in einer Fernsehshow total lässig eine Zigarette in den Mund schnippt, aber sie am Filter anzündet und dann ganz cool so tut, als wäre das Absicht gewesen, den Filter abbeißt und wie ein Cowboy raucht. Ich träume auch davon Al Capone-Zigaretten mit Filter zu kaufen und der Kassierer sagt: "Eine Einheit, bitte.", die ich ihm natürlich in Form einer undefinierbaren Paste auf die Hand schmiere. Außerdem träume ich von einem Drachen, der immer nur dann auftaucht, wenn ich meinen Briefkasten öffnen möchte. Ich weiß nicht, was das alles zu bedeuten hat, und ich will es auch nicht wissen. Das Einzige, was ich will, ist nicht mehr von Matthias Schweighöfer und Til Schweiger zu träumen. Dafür kämpfe ich auch mit dem Drachen, versprochen!

Hör auf jetzt!

"Booha, ey...ich halts nicht aus! Dieser Zustand, diese Quarantäne, das macht mich alles so...so fertig, verstehst du?

"..."

"Den ganzen Tag herumliegen...schrecklich, das könnte ich nicht. Ich werd ja jetzt schon ganz verrückt. Wie hältst du das bloß aus?"

"Ich habe hart trainiert.

"Trainie....was?"

"Jeden Tag!"

"Was hast du trainiert? Du siehst aus, als würde dir beim nächsten Atemzug ein Arm abfallen."

"Liegen, ich habe das Liegen trainiert. Täglich, zehn Stunden, schlafen zählt nicht."

"Was??"

"Ja, es ist gar nicht so einfach, wie es vielleicht für einen Laien wie dich, aussehen mag. Besonders schwierig sind die Drehmomente."

"Was redest du denn da...?"

"Sobald du merkst, dass eine Seite anfängt wehzutun, musst du dich in immer gleicher Geschwindigkeit umdrehen, da sonst die Möglichkeit einer, im Profiliegen nur allzu bekannten, Überdrehung besteht. Das passiert zum Beispiel, wenn du plötzlich und ruckartig die Seiten wechseln musst, weil du dich zu lange auf einen bestimmten Fleck an der Decke konzentriert hast und dabei vergessen hast, die vorgeschriebene Maximalliegezeit pro Seite einzuhalten. Siehst du diese Narbe in meinem Gesicht?"

"Ähh, nein."

"Das passiert, wenn du denkst, du kannst dich über die Regeln des Liegens hinwegsetzen. Wenn du denkst, du bist etwas Besonderes, nur, weil du es ein paar Mal geschafft hast zwei- drei Tage länger zu liegen, als andere.

"Du hast doch völlig den...also, du spinnst ja total."

"Du verstehst das nicht. Das ist schon lange kein Spass mehr. Sicher, die Kids von heute denken, sie können so lange liegen, wie sie wollen. Aber es hat erst kürzlich Fälle gegeben, bei denen zwei nie wieder aufgestanden sind."

"Hör auf jetzt!"

"Eine junge Frau, 24 und ein junger Mann, 26. Beide hatten sich völlig dem Liegen verschrieben, ohne auf den Drehmoment zu achten und sind qualvoll verhungert.

"Weißt du, ich wollte mich einfach nur kurz unterhalten, mich ein wenig abreagieren, aber du, du hast ja völlig einen an der Waffel, weißt du das?

"Moment!"

"WAS?"

"Ich muss mich umdrehen!"

"___"

"Hallo? Hallo, bist du noch dran? Das hättest du sehen müssen, die beste Drehung seit langem, hallo?"

This is the End, my only Friend, the End.

Habe geträumt, ich würde angeniest und konnte den feinen Niesstaub, der sich nach und nach wie ein Meteoritenschauer auf meinem Gesicht niederschlug, spüren, wie er sich langsam in die Poren meiner Haut ätzt und stürzte panisch in Richtung Waschbecken, um mich zu desinfizieren. Aber es  war schon zu spät und ein riesiger Tentakel wuchs unaufhörlich aus meinem linken Nasenloch, und überzog meinen gesamten Körper mit glibbrigem Schleim. Es war schrecklich. So beginnt es also, am ersten Freitag den 13. im Jahre des Herrn 2020. Dunkle Wolken warnen donnernd am Horizont und grollen allem und jedem. Sie überziehen die Welt mit zäher Finsternis und stürzen sie in ewige Dunkelheit. Nichts kann uns jetzt mehr retten. Die großen Weltreligionen schieben sich wie immer gegenseitig die Schuld zu, während sich die Menschen in oktopusähnliche Kreaturen verwandeln und überall hochansteckendes Sekret hinterlassen. This is the End, my only Friend, the End.

Sechsmal in Folge

Anscheinend sind Eier in der Krise ein Lebensmittel, welches man nicht nur als köstliche Rühreier, Eier im Glas, mit Kaviar oder klassisch weichgekocht zu verzehren vermag, nein, auch im Rahmen der Zweckentfremdung  als Ausdruck des Protests in Form eines Wurfgeschosses, eignen sie sich hervorragend dafür seiner Wut auf unbeliebte Personen freien Lauf zu lassen. Wenn ich also auf meiner Matratze sitze und mich mit meinem besten Freund unterhalte ( Bussi by the Way♡ 😃), und zwei dumpfe Aufschläge an Hauswand und Jalousie vernehme, denke ich niemals daran, dass mich jemand nicht mögen könnte. Mich, der jeder kleinen Hausspinne kostenlos die teuersten Ecken und Winkel der Wohnung zu Verfügung stellt und mit einem ausgezeichneten Angebot an Fruchtfliegen, aus eigener Zucht, welche sämtliche Zucht- und Hygienestandarts erfüllt und bei den alljährlichen Fruchtfliegenzüchterweltmeisterschaften schon sechsmal in Folge den ersten Preis gewinnen konnte, aufwarten kann. Ich bin seit Jahren strenggläubiger Pazifist und schreibe zur Entspannung romantische Wald- und Wiesengedichte oder fahre an den Wochenenden in den Wald, um ein paar Bäume zu streicheln und den Eichhörnchen zuzusehen. Doch zu meinem außerordentlichen Bedauern, gibt es Menschen, die da etwas dagegen haben und, als Opfer ihres eigenen Hasses, verlernt haben zu lieben und zu tolerieren. Ich möchte euch sagen, dass ich euch verzeihe und, dass ich euch liebe. Tretet aus dem dunklen Schatten der eure Einsamkeit wirft und tanzt mit mir im Licht und in der Wärme der aufgehenden Sonne. Versammelt euch mit mir unter dem Himmelszelt und habt Teil an der Schönheit des Erlebens und des Fühlens, eins mit dem Universum und seinem Dasein zu sein. Friede sei mit euch, die ihr seid die Söhne und Töchter der Liebe auf ewig. 🕊☮☯

Irren ist....

Ich erinnere mich, als ich eines Novembermorgens die Jalousie nach oben zog, das Fenster öffnete und alles, was ich sah, unter funkelndem Weiß begraben lag. Das schwache orangefarbene Licht der Straßenbeleuchtung, ließ es aussehen, als wäre man auf einem fremden Planeten und jeden Tag gäbe es etwas Neues zu entdecken. Man musste sich nur warm genug anziehen und die Schnürsenkel festziehen und war für jedes Abenteuer gewappnet. Und ich erinnere mich, als ich sagte, dass ich heute nichts trinken würde und auf eine Feier eingeladen wurde und trotzdem drei Bier trank und, als wir das Haus verließen, um in einen Club zu gehen, ich über einen kleinen Zaun sprang, weil ich pinkeln musste, von dem ich dachte, dass er einen Weg zu einem angrenzenden Haus markierte und zwei Meter abwärts in einen Bach fiel. Ich habe mich in meinem Leben schon oft geirrt.

So, wie wir alle

Jetzt fällt mir die Asche von der Zigarette auf´s Bett und noch vor einer Woche, stülpte ich mir einen gelben Sack über den Kopf und zog das Panzer-Tape viermal fest um meinen Hals. Ich schrieb sogar einen kleinen Zettel und warf ihn vor mich auf den Boden, ehe ich das Glas austrank und noch einen letzten  Zug von der Zigarette nahm. Von der Idee meinen Frieden zu machen war ich meilenweit entfernt. Und jetzt, sitze ich hier und tippe diese Worte, mit einer Zigarette im Mund und einem Glas Wein neben mir und meine Füße sind dreckig, weil der Boden dreckig ist und ich trage das letzte saubere Hemd, das ich habe, während ein Stockwerk höher,  die Nachbarin versucht, mit lauten, dumpfen Schlägen gegen den Boden, ihre Dämonen in den Griff zu kriegen. So, wie wir alle.

Sie ist weg

Vermutlich hatte sie Recht, aber ich war betrunken und liebte sie. Ich hätte es ihr ins Gesicht sagen sollen, einen Brief schreiben und Blumen schicken, einen Raben, oder zumindest eine Brieftaube, weiß der Geier, doch ich entschied mich für die modernste und zugleich unromantischste Art und schrieb ihr per Chat. Nachts. Klassisch. Ich schrieb: „Ich liebe dich.“, und das tue ich noch immer. Keine Antwort. Nichts. Ich dachte, okay, wenn sie sich nicht meldet, hat sie vermutlich keine Lust und ich beließ es dabei. Es gibt genügend Arschlöcher da draußen, soll sie sich doch ein anderes suchen. Zugegeben, ich bin etwas außer Form. Jemandem zu sagen, dass man ihn liebt, bedarf einer gewissen Ernsthaftigkeit, und die Götter wissen wie schwer mir es fällt diesen Satz zu sagen. Ich weiß nicht, wie sie mich dazu brachte, dass ich mich in sie verliebe, wahrscheinlich war es das Chaos, das ständige Hin- und Her, die Ungewissheit, oder einfach nur ihre Atmung, die sich mit meiner synchronisierte, als ich sie in meinen Armen hielt und sie schlief und ich ihr über den Kopf streichelte. Wie dem auch sei, ich habe bekommen, was ich verdiene. Sie ist weg.

Halt!

"Halt!"

"Halt?"

"Ja, halt "

"Ähh, was soll das."

"Was haben Sie mit dem ganzen Klopapier vor? Andere müssen sich ihren Hintern auch abwischen, haben Sie verstanden?"

"Das geht Sie gar nichts an!"

"Ich seh doch, dass Sie Angst haben."

"Ich habe keine Angst."

"Sie haben Angst! Ihr Einkaufswagen ist voller Nudeln, Mehl und Kartoffeln. Ihnen fehlt doch nur noch das Klopapier, geb Sie es zu."

"Ich gebe hier gar nichts, aber ich nehme mir das Klopapier."

"Das werden Sie nicht!"

"Ach, ja? Und was wollen Sie dage...HILFEE...HILFEE...LASSEN SIE...HALLOOO...ICH, JETZT HÖREN SIE DOCH...BITTE,....BITTE NICHT...HALLOOO, ICH...ICH BRAUCHE HIL...BITTE NICHT INS GESICHT! "

"HATSCHIIIIIEEEE, HAAAAAATSCHIIIIIIIEEEEE."

Was für Vorräte?

"Hey."

"Hey, na?"

"Nene, kein Händeschütteln.

"Was?"

"CORONA!"

"Verstehe. Vielleicht hast du Recht."

"Und, wo sind deine Vorräte"

"Was für Vorräte?"

"Deine Vorräte für die Krise natürlich!"

"Ich habe Leitungswasser, drei Scheiben Vollkornbrot und eine viertel Packung Gummibärchen."

"WAS?"

"Ich habe Leitungswasser, drei Schei..."

"Ja, das hab ich schon verstanden. Bist du bescheuert?"

"Hör mal, ich habe sowieso nichts. Meine Klamotten trage ich am Körper und Essen kauf ich maximal für einen Tag. Wenn, dann bin ich sowieso einer der Ersten, die draufgehen. Was soll's."

"Du spinnst ja völlig. Also ich habe für mindestens drei Monate Essen, Hygieneartikel, Medizin, alles was man so braucht."

"Für drei Monate sagst du, mmhh, gut zu wissen."

"Wie meinst du das?"

"Ach, nichts, ich freu mich einfach für dich, dass du so gut vorbereitet bist. Da fällt mir ein, ich müsste noch in den Baumarkt."

"In den Baumarkt, wieso das denn?"

"Ich brauche noch zwei Seile, Panzer-Tape, ein paar Lappen und reißfeste Industrie-Müllsäcke."

"Wofür denn?"

"Für die Krise mein Freund, für die Krise."

"..."

Harmlos

Die Nächte beginnen meistens harmlos. Und wenn ich alleine bleibe, was oft der Fall ist, enden sie auch so. Doch manchmal braucht man eben doch ein wenig Gesellschaft, will wissen, ob es den anderen noch genauso beschissen geht wie einem selbst, oder, ob sie es inzwischen geschafft haben, ob sie tot sind, oder nur nicht mehr ans Telefon gehen. Viel zu erzählen, bis auf die üblichen Beschwerden gibt es sowieso nicht. Also ist man mehr damit beschäftigt zu trinken und sich zu wiederholen. Ich glaube, jemand hat mir mal drei Mal an einem Abend dieselbe Geschichte erzählt, nur immer etwas anders. Ein paar Details wurden weggelassen und ein paar andere hinzugedichtet. Solange wir zusammen tranken, lachte ich trotzdem bei jeder neuen Version. Es war mir egal und ich wollte ihn nicht verletzen. Dann gibt es Abende, an denen von vornherein alles schief läuft. Ein seltsames Flirren liegt in der Luft und etwas in deinem Kopf sagt dir seit zwei Stunden, dass du nach Hause gehen solltest. Doch nach der dritten und vierten Stunde, ist da nichts mehr und du bekommst genau das, was du verdienst, wenn du dich mit dem Universum anlegst.

Alleine?

Ich war also völlig alleine und  ging  vor die Tür. Ich wollte etwas erleben, wobei etwas erleben nicht ganz stimmt. Eigentlich wollte ich nur meine Ruhe, etwas trinken, Musik hören und ein wenig die Reaktionen der Leute beobachten, wenn einer an einem Freitagabend ohne Begleitung in der Kälte sitzt, trinkt und Mister Chuck Berry rauf und runter spielt. Ich nahm also meine tragbare Musikbox, steckte sie mir in die Innentasche meiner Lederjacke und besorgte mir eine Flasche Gin mit Tonic. Auf den Latten der Holzbank hatten sich bereits Eiskristalle gebildet und wenn man hinter einer Gruppe Menschen herumlief, sah es aus, als würde man einer alten Dampflock folgen. Ich stellte die Musik an und begann zu trinken. Wenn ich alleine trinke, trinke ich sowieso immer etwas schneller, aber mit Musik kippte ich einen Becher nach dem anderen. Nach dem fünften oder sechsten Becher stand ich auf und fing an mich zur Musik zu bewegen. Ich ließ meine Hüften kreisen und versuchte so cool wie möglich zu wirken. Ich musste großartig dabei ausgesehen haben. Ein 1,93m großer und 210Pfund schwerer Kerl, In schwarzer Lederjacke, schwarzer Jeans, schwarzem Hemd und schwarzen Schuhen, tanzt mutterseelenalleine unter dem Licht einer einsamen Laterne zu Chuck Berry. Einige der Passanten, insbesondere die älteren Jahrgangs, lächelten und winkten mir zu, während andere mit dem Finger auf mich zeigten. Aber das war mir egal. Bald würde mein dritter Gedichtband erscheinen und ich hatte Gin und ich hatte Berry. Was konnte mir schon passieren?!

Zeugs

Das Zeugs war nicht besonders gut und brannte derartig stark, dass ich niesen musste und die Hälfte erneut auf dem Boden landete. Einige halten das Brennen für ein Qualitätskriterium, aber das ist völliger Blödsinn. Ich kannte mal zwei Vollidioten, die sich weißen Schnupftabak durch die Nase zogen, nur damit es in ihren Nasenlöchern brannte. Jedenfalls, kippte Bolle den gesamten Stoff, und ich frage mich bis heute wieso er das tat, den wir vorher zufällig von einem Typen kauften der uns ansprach, auf das Display meines Handys und fing an die ersten Linien zurechtzulegen. Wir waren inzwischen bei der dritten Flasche Gin, als er vorschlug in das oberste Deck eines Parkhauses zu gehen. Das Pulver lag also in einem Haufen und mehreren Linien bereit, die Zigaretten waren gedreht und die Becher voll, als mich Tina anrief und das Telefon zu vibrieren begann. Ich schaffte es mit dem kleinen Finger den Anruf wegzudrücken ohne, dass ich die zum Verzehr  fertig aufgeteilten Linien verwischte. Das Problem war nur, dass Tina sich nicht damit abfand weggedrückt zu werden, oder auf die Idee kam Bolle anzurufen, weshalb er irgendwann ziemlich sauer wurde. Bolle hatte meistens die Kapuze oben und ich überlege noch immer was ihn dazu brachte zu glauben, er könne das Telefon in einem Winkel an sein Ohr halten, ohne, dass das gesamte Pulver auf den Boden fallen würde. Ich leckte an dem Rand seiner Kapuze, während er den Rest von seiner Jeans klopfte und anfing auf dem rissigen Beton zu retten was übrig geblieben war. Es war einfach Freitag und wir wussten nicht was wir tun sollten. 

Diese Handlung ist frei erfunden und beruht nicht auf Tatsachen. Jegliche Ähnlichkeit zu real existierenden Personen ist rein zufällig.

Ravioli Picanti

Da stand ich also mit Rucksack, offenem Hawai-Hemd und einem 80er-Jahre-Handy an der Kasse, legte Kloßteig und Fanta aufs Band und telefonierte mit irgendjemandem, den ich nicht kannte. Ich zog mein Tennis-Schweißband zurecht und fühlte mich geiler als Madonna, wenn sie "When you call my Name" (keine Ursache, der Ohrwurm geht auf's Haus) singt. Plötzlich fragte mich die Kassiererin, was ich im Rucksack habe, woraufhin ich mit "nichts" antwortete und ihn öffnete. Doch auf einmal befanden sich jede Menge Packungen Kinderschokolade, Schokobons und Hanuta darin. Eine riesige Hand landete unsanft auf meiner Schulter und ein Bär, der aussah wie ein Mann, wollte meine Personalien aufnehmen. Ich sagte ihm, dass ich meinen Ausweis nicht dabei habe und nannte ihm einen falschen Namen. Er ließ mich gehen und ich durfte die gesamte Schokolade behalten. Als ich gegenüber in einem Diner saß und Marty McFly zu Tür hereinkam, wollte ich ihm meine Beute zeigen, aber der Rucksack war leer. Ich sollte vielleicht nach 21 Uhr keine Dosenravioli Picanti mehr essen. Ich weiß auch nicht.

Love is all you need♡

Nicht nur, dass es Freitag ist, dass auch ich das Ende der Woche als solches wahrnehme, als hätte ich etwas Wertvolles, etwas Wichtiges, aber zumindest etwas zu Erhaltung der Gesellschaft beigetragen und ebenfalls Anspruch auf Urlaub und Erholung, obwohl ich in Wirklichkeit eigentlich nichts getan habe, außer am Leben zu bleiben, nein, es ist auch noch Valentinstag. Der Tag im Jahr, an dem sich das Aufkommen, der mich ohnehin schon störenden, naiv liebestrunkenen Paare, die sich ihre Liebessschwüre in den Gehörgang sabbern, noch auf ein Vielfaches erhöht. Liebe, Liebe ist nur etwas für Anfänger, die es nicht schaffen jeden Morgen den Gestank der Person zu ertragen, neben der sie aufwachen. Während ich mir meines eskapistischen Daseins völlig bewusst bin und mich ärgere, dass der Rotwein schon wieder leer ist, sehnen sich andere regelrecht nach Nähe und Zuneigung. Wenn ich also später in meinen Lieblingsnetto gehe, um weiter existieren zu können, werde ich versuchen all das zu ignorieren, um das sowieso schon niedrige Risiko mich zufällig zu verlieben, nicht auf das Level des Möglichen ansteigen zu lassen.

Wenn es doch nur so einfach wäre

"Ja, hallo, guten Tag."

"Hallo."

"Ich bin ihr Nachbar von unten, wissen Sie noch?"

"Äh, nein."

"Ja, das habe ich mir gedacht. Aber das ist gar kein Problem, deswegen bin ich ja hier, wissen Sie, um ihrem Gedächtnis ein wenig...wie sagt man so schön...?"

"Was?"

"Naja, jedenfalls würde ich mich sehr gerne ein wenig mit Ihnen unterhalten. Wenn Sie vielleicht ein bis zwei Minütchen hätten, ja? Das wäre großartig. So darf ich denn eintreten in ihr bescheidenes Haus?"

"EY, SANDY...ICH HAB GESAGT DU SOLLST DIESES SCHEISS LIED NICHT MEHR SPIELEN! ICH HASSE DAS. Ja...wenns sein muss, aber schnell."

"Vielen lieben Dank!"

"SANDYYY...MACH DAS LIED AUS DU HURE!"

"Ich vermute, Sie leben hier mit ihrer Frau zusammen, das finde ich sehr schön."

"SANDY! DU KRIEGST GLEICH IN DIE FRESSE. UND WEHE DU RUFST DANN WIEDER DEINE MUTTER AN. ICH HAB DICH GEWARNT."

"Wissen Sie, ich wollte Sie nur darum bitten, vielleicht, wenigstens nachts, wenn es denn keine Umstände für Sie macht, etwas leiser zu sein. Ich bin Schriftsteller und ziemlich sensibel. Ein sensibler Künstler, verstehen Sie?

"SANDYYY...JETZT GIBT'S AUF DIE FRESSEEE."

"Ach, das muss doch jetzt wirklich nicht sein. Lassen Sie doch. Wie ich sehe haben Sie einen ziemlich großen Fernseher und eine mehr als beachtliche Stereoanlage."

"Ja, und? Was soll das jetzt hier?"

"Wie es der Zufall will, sucht ein Bekannter von mir nach genau diesem Fernseher und dieser Stereoanlage. Er ist in der Müllbranche tätig. Er beseitigt wirklich jede Art Müll, ganz still und leise. Er müsste jeden Augenblick hier sein."

"Altaa, verpiss dich jetzt mal wieder!"

"Na na, nicht so voreilig mein Freund! Es hat so eben an der Tür geschellt. Ich würde Ihnen raten sie zu öffnen."

"..."

"Ah, da ist er ja. Darf ich vorstellen, mein Bekannter. Keine Angst, er ist in Wirklichkeit noch böser als er aussieht."

"..."

"Ich  dachte mir, wenn er schon hier ist, könnte er doch gleich ein bisschen Müll entsorgen, oder?"

"..."

"Genau, ich denke wir haben uns verstanden. Und denken Sie bitte an meine sensible Künstlerseele. Ich bin emotional sehr zerbrechlich. Auf Wiedersehen!"

Donnerstag, 13. Februar 2020

Ich erkenne mit Mühe ein paar Zeilen.

Oft schließe ich bei strahlendem Sonnenschein und blauem Himmel alle Fenster und Jalousien. Mir gefällt der Gedanke, selbst zu entscheiden wann der Tag endet. Nur das Geräusch vorbeifahrender Autos und die Toilettenspülung der Nachbarn erinnern an eine Welt außerhalb des Raumes. Das Bett ist Zentrum allen Schaffens und Verderbens. Dem grellen Licht, der aufflackernden Blitze des Photonenbombardements aus dem Fernseher, folgen unregelmäßige Phasen absoluter Finsternis. Ich weiß nicht, wie spät es genau ist, doch wenn das Piepsen der verschollenen Casio-Uhr die Stille durchdringt, sind sieben Minuten nach jeder vollen Stunde vergangen. Ich erkenne mit Mühe ein paar Zeilen. Meine Atmung wird flach, bis sie zwischen zwei Buchseiten passt. Ich träume Apophis würde nie besiegt und ewiges Schwarz verschlänge die Welt. Das erste Grollen der Tram hallt durch die Straßen. Alles nur ein Traum. Alles nur ein Traum.

Wunschdialog mit der Irren aus dem Vierten:

KLOPF...KLOPF...KLOPF...KLOPF

"NA, WIE FÜHLT SICH DAS AN?"

"Nicht schön."

"WAS? ICH KANN SIE LEIDER NICHT VERSTEHEN, VERSTEHEN SIE?! DAS KLOPFEN, ES IST VIEL ZU LAUT, HÖREN SIE MAL. KOPFKLOPFKLOPFKLOPFKLOPF"

"Bitte, ich flehe Sie an..."

"WAAAAAAAS? SIE MÜSSEN LAUTER SPRECHEN! DAS KLOPFEN, SIE VERSTEHEN??"

"Bitte, hören Sie auf. Ich habe verstanden. Es tut mir sehr leid, dass ich jede Nacht gegen den Boden schlage als würde ich mit Bowlingkugeln jonglieren."

"WAAAAAAS, SIE MÜSSEN LAUUUUTEEEEERRR, DAAAHAAASS KLOHOOOPFEEEEHEEEN!"

"ES TUT MIR LEID! BITTE, BITTE HÖREN SIE AUF. HIER, HIER NEHMEN SIE DIE FLASCHE WEIN UND DEN SCHINKEN, BITTE, BITTE GEHEN SIE"

"Na gut, wenn das so ist, dann geh ich jetzt mal. Ich wünsche ihnen noch einen angenehmen Abend. Auf Wiedersehen."

BOOM...BOOM...BOOM...BOOM.

BOOM...BOOM...BOOM...BOOM. Wer jetzt in Gedanken "...i want you in my Room!" singt, kennt zumindest noch eine andere Art von Folter und ich entschuldige mich sofort für die 90's Raveglocken, die vermutlich bis zum Ende des Tages in deinem Kopf läuten werden und schicke anstandshalber (k)ein "Whoa oh oh oh -This is what I wanna do" hinterher. Wie auch immer. Entweder, hat die Alte im Vierten derbe einen an der Waffel, ist besessen oder es ist ein Poltergeist. Ich weiß jetzt auch nicht, was besser wäre. Ich weiß nur, dass es mich dazu bringt, darüber nachzudenken, wie man am günstigsten eine Leiche verschwinden lassen könnte. Oder, ob...ach, ich will nicht zu viel verraten. Kennt noch jemand "Dexter" ? Guter Mann! Was ich damit sagen will ist: BOOM...BOOM...BOOM...BOOM....oh! Entschuldige bitte, habe ich dich aus deinem Konzept gebracht? Ja, verdammt nochmal...und ja, so ein Viertelpfünder mit Käse, ist immer noch ein Royal mit Käse. Zumindest nennen ihn die Franzosen so. Achso, ja....

If you're alone and you need a friend
Someone to make you forget your problems
Just come along baby
Take my hand
I'll be your lover tonight

Whoa oh oh oh

This is what I wanna do
Let's have some fun
What I want is me and you

Boom boom boom boom
I want you in my room
Let's spend the night together

From now until forever
Boom boom boom boom
I wanna go boom boom
Let's spend the night together
Together in my room

Everybody get on down
The Vengaboys are back in town

This is what I wanna do
Let's have some fun
What I want is me and you

Boom boom boom boom
I want you in my room
Let's spend the night together
From now until forever
Boom boom boom boom
I wanna go boom boom
Let's spend the night together…

Niemand schläft, bis ich schlafe!

Ich nippe am Gin und inhaliere

Nur ein bisschen größer, ein bisschen mehr und überall diese Menschen. Na gut, den Späti zu kennen, bei dem man keine 4,90€ für eine 0,33l Gin-Tonic-Dose in Kreuzberg bezahlt, ist natürlich klassischer Heimvorteil, aber dennoch sage ich: "Altaaaa, ernsthaft? 4,90€? Nichma an der Tanke.....aber lassen wir das, mach noch ne Schachtel Camel drauf, ja, danke." Jetzt bin ich arm und nüchtern. Ein Zustand, den es zu verhindern gilt. Alle andern essen Burger. Essen einen "Weddinger". Beef und Spiegelei. Ich stehe vor der Tür und rauche. Nippe am Gin und inhaliere. Nippe am Gin und inhaliere. Cool. Berlin. Nochmal Cool. Kreuzberg. Es regnet. Ich nippe am Gin und inhaliere. Irgendwelche Kids machen irgendwelche Superfreakymodeopferbilder für Insta. Das Mädchen gibt sich cool. Sie gibt sich so cool, dass man nicht denken soll, dass sie sich cool gibt oder daran denkt, wie cool sie denn jetzt ist, während sie sich darauf konzentriert möglichst cool uncool zu sein. Ich nippe am Gin und inhaliere. Ich freue mich, dass ich im c&a am Gesundbrunnen-Center war und mir eine Hose gekauft habe. Ich freu mich besonders, dass ich eine Hose ohne Loch im Schritt trage. Auch, wenn vor dem Eingang eine offensichtlich betrunkene Frau verzweifelt versucht hat gegen ihren Körper anzukommen, indem sie ihn mit allem was sie finden konnte dazu bringen wollte aufzuhören zu menstruieren. Eigentlich, hätte ich damit anfangen sollen zu erzählen, dass ich meinen ersten und letzten "Rum-Cola-KIRSCH" im Magendoktor (gemütliche Kiezkneipe für Fortgeschrittene) getrunken habe.  Und wie ich mich noch wunderte, warum mich der Barkeeper fragt, ob ich alles in einem Glas haben möchte. Das Missverständnis hat sich dann beim zweiten Rum-Cola aufgeklärt. Trotzdem, ein Lob an den Barkeeper! Der Gast bekommt was er bestellt. Bevor wir gingen habe ich noch einem sehr seriös aussehenden Mann eine Zigarette für eine Kokarette gegeben. Aber nur, weil er so lieb gewesen ist und mir seine leere Schachtel geschenkt hat. Selbstverständlich war ich auch auf einer Hinterhof-Party auf der es überall nach Pott duftete und viele Leute musizierten und sich ungehemmt unterhielten. Und ja, ich habe auch mit einer alten Jugendliebe gesprochen DIE MIR MEIN HERZ GEBR...Moment, vielleicht sollte ich das lieber nicht schreiben. Vielleicht hat sie es geschafft, bis hier hin zu lesen und dann fragt sie mich, ob ich spinne. Und jetzt? Jetzt, lieg ich wieder hier und....aber, deswegen bringt man sich doch nicht gleich um.......oder?

Auf und ab, auf und ab.

Sie lag bei mir. Wir beide im Bett und ich fühlte mich gut. Ihr Kopf auf meiner Brust, ihre Atmung gleichmäßig. Auf und ab, auf und ab. Ihr Arm fest um meinen Körper, meiner um ihren. Lange hatte sich niemand mehr so an mir festgehalten und noch länger wollte ich nicht mehr loslassen. Sie sprach im Schlaf und ich hörte ihr zu. Küsste sie auf die Stirn, streichelte ihren Kopf, zog die Bettdecke nach, wenn sie sich drehte. Ich hielt sie so fest ich konnte und sie mich noch fester. Wir glühten, während sie sich in mir vergrub. Nichts hätte uns trennen können, außer uns selbst. Und so geschah es. Einfach so.

Das Zeugs war nicht gut für sie

Ich kam zehn Minuten zu spät. Wenn man trinkt vergeht die Zeit schneller oder langsamer, je nachdem. Der Tisch war prachtvoll gedeckt. So etwas hatte ich nicht erwartet. Seit Jahren hatte ich kein Weihnachten gefeiert. Es löste sogar etwas Befremdliches in mir aus. All das, für mich? Für uns?! Als ich den letzten Bissen genommen hatte, stand sie auf und machte sich frisch. Das bedeutete sie wurde high. Ich trank. Das Zeugs war nicht gut für sie. Aber wer war ich, um ihr zu sagen, was gut für sie war und was nicht. Später ging sie aus und ich blieb bei ihr und wartete. Damit hatte ich kein Problem. Sie sagte es wäre schön, wenn ich da wäre, wenn sie nach Hause käme. Am nächsten Morgen wartete ich immer noch. Ich legte ihr den Schlüssel in einen Schuh vor die Tür und verschwand. Ich wusste, Weihnachten ist  nichts mich.

The Dark Five

Es passiert mir ja gerade nicht viel, außer, dass ich liege und darauf aufpassen muss, dass ich den Wecker richtig stelle, um das stündliche Umdrehen nicht zu vergessen. Schließlich möchte ich meinen Körper mit den Abdrücken der Falten des Spannbetttuches gleichmäßig von allen Seiten verzieren. Wenn ich also so daliege und mir für die Flecken an meiner Wand lustige Namen überlege, den größten habe ich übrigens "The Dark Five" getauft, weil er einen fast kompletten Abdruck meiner Hand zeigt, kommt es mir manchmal so vor, als würden meine beiden Nachbarn in Form von kurzen und hohen oder langen und tiefen Tönen miteinander kommunizieren, indem sie ihre quietschenden Wohnzimmertüren dementsprechend abwechselnd vor und zurück bewegen. Es klingt, als würden zwei Walmännchen verzweifelt um die Gunst eines Weibchens konkurrieren und ich bin irgendwo dazwischen. Es ist wirklich seltsam. Verlässt oder betritt einer von beiden den Raum, folgt ihm der andere sofort hinterher. Ich hoffe, dass sich das Weibchen irgendwann für einen von ihnen entscheiden wird.

Es gibt noch Hoffnung!

Gerade, wenn man denkt, zwischen dem ganzen Leben und nicht Leben für immer unter der Bettdecke bleiben zu müssen, findet man ein köstliches Käsebällchen inmitten all den langweiligen Käseringen. Denn, wenn es ein Käsebällchen schafft in einer Welt voller Käseringe zu überleben, dann schaffst du das auch! Sei stark, sei das Käsebällchen, hör auf zu zweifeln! Du bist schön und schmackhaft, alle lieben dich. Die Welt gehört dir. Die Welt ist ein Käsebällchen! 🧀♡

Es gab auch gute Zeiten.

Zum Beispiel als ich ein Messer an der Kehle hatte wegen ein paar Gramm. Oder, ein Kollege zu viel von einer Substanz im Blut hatte und wir ihn an Weihnachten in der Psychiatrie besuchen mussten. Oder, als ich in der Psychiatrie war. Oder, als ich an Neujahr in der Psychiatrie war. Oder, als wir auf derselben Substanz dachten, es wäre eine super Idee im Sommer mit einer 1L-Flasche Wasser für drei Personen in den Wald zu gehen. Oder, als sich ein Freund im Rausch den Schädel an der Toilette aufschlug, aber sein Schädel härter war. Oder, als ich eine Überdosis hatte und mich eine Stunde nicht bewegen konnte. Oder, als ich dachte, dass ich sterben müsse. Oder, als ich nochmal dachte, dass ich sterben müsse. Oder, als ich sterben wollte. Oder, als ich eine zwei Wochen alte Leiche gesehen habe. Oder, als wir etwas von einem Land ins andere schmuggelten. Oder, als meine Nase nicht mehr aufgehört hat zu bluten. Oder, als ein Freund wegen Alkohol sein Zuhause verlor, obdachlos wurde und sich wieder gefangen hat. Oder, als sich ein Mensch das Leben nahm den man liebte. Oder...

Aber diese Zeiten sind vorbei. Jetzt kann es nur noch besser werden♡

Montag, 13. Januar 2020

Wie ich bei einem Besuch der Arbeitsagentur mit dem Leben davon kam.

Als sähen die grauen Wände und Stühle im Wartebereich nicht einladend genug aus, wurden die langen, dunklen Gänge auch noch so konzipiert, um sich gerade so, aneinander vorbeiwälzen zu können. Als wäre ich dazu in der Lage, mit den Taschen voller Schwermut, pirouettenhafte Ausweichmanöver zu vollführen, während eine Armada aktentragender Beamter, im Stechschritt, ohne Rücksicht, an mir vorbei marschiert. Da bleibt einem doch nichts anderes übrig, als mit dem Gesicht an der Wand entlang zu schlürfen und dabei eine Spur aus Speichel und Angstschweiß zu hinterlassen. Zum Glück, waren es nur ein paar Meter, ehe mein Mund trocken wurde und ich mir völllig dehydriert, die Mundwinkel an dem scharfkantigen Alurahmen aufreißen konnte, in dem ein riesenhafter Fluchtplan gerahmt war.
Überall waren die Stellen markiert, an denen vermutlich, strategisch-optimal, Feuerlöscher zu finden waren. Als ich mir vorstellte, wie ein Feuer ausbricht und sich alle reflexartig in das wertvollste verkrallen, das sie haben und dann, mit all ihren Akten unter den Armen und auf ihren Köpfen balancierend, versuchen würden zu fliehen und oder, so schnell als möglich einen Feuerlöscher zu ergattern, spürte ich sofort wieder dieses Gefühl, etwas links, unterhalb meines Herzens, das mir sagte: "Los, spring aus dem Fenster, öffne es, spring so weit, wie du noch nie gesprungen bist, rette dich, rette dich in den Tod!" Wahrscheinlich, dienten die vielen, aber viel zu kleinen Feuerlöscher eher dazu, sich den Weg frei zu prügeln, als damit ernsthaft ein Feuer zu löschen. Der erste, der am Feuerlöscher war, würde überleben, so einfach wäre das. Schneller als in diesem Moment, würden sie nie wieder eine existenzsichernde Maßnahme ergreifen. Schließlich würde es hier um ihr eigenes Leben gehen, nicht um das vermeintlicher Kunden. Glücklicherweise, brach das Feuer nur im oberen Drittel meines Magens aus, welches sich in starkem Reflux bemerkbar machte, während ich auf die Gunst meines Sachbearbeiters wartete. Für heute, kam ich also nochmal mit dem Leben davon.

Sechs Pizzabaguettes

Vor dem Schaufenster. Sein Blick, als hätte er aufgehört zu altern. Als würde sich die Welt ohne ihn drehen. Und ein paar Schritte weiter, eine unüberwindbare Müdigkeit. Eine Müdigkeit, die so schwer auf seinen Lidern wiegt, dass es kein Schrecken mehr vermag sie je wieder zu öffnen. Der alte Armeeparka und die bunte Strickmütze, der schwere Gang, der weiße Bart. Ich habe drei Flaschen Wein gekauft und sechs Pizzabaguettes.

Du hast se ja nich alle!

"Also, jetzt pass ma auf Kollege. Wenn du ständig so wehleidig tust, davon ändert sich ja doch nix, verstehste? Du musst was tun! Die ganze Zeit nur in deiner Höhle vegetieren und träumen. Ich sag dir, das kann böse enden."

"Es ist eher ein langsames Verwesen und wehleidig, verbitte ich mir! Ich befinde mich gerade in einer Zeit des kreativen Prozesses und Selbstfindungsphase, ich brauche meine Ruhe. Ruhe und jeden Tag sechs Pizzabaguettes. Sechs Pizzabaguettes sind nämlich nicht gerade viel, wenn man regelmäßig zwei davon verbrennen lässt."

"Das kann ja alles sein. Der Herr Schriftsteller macht sich lang auf Staatskosten und hält sich dann noch für was Besseres, so kommste rüber. Da helfen dir auch keine Gedichte mehr, schnorren tuste ja trotzdem bei mir, geht dir der Sprit aus, vom Rauch ganz zu schweigen."

"Also, der Einzige, der sich hier ständig beschwert, bist du. Ich schreibe dir sofort ein Gedicht, danach geht es dir gleich besser und du lädst mich auf ein schönes Glas Wein ein, oder zwei. Aufgepasst!"

Knurrt des Dichters Magen
Dann denkt er nicht ans Reim'

Doch hat er grad gefressen
Dann fällt ihm einer ein

Auch getrunken muss er haben
Natürlich nur vom guten Wein

Und ist's nur warmes Bier
Dann bleibt er gleich daheim

Drum freu dich lieber Freund
Kannst du ihm Speis und Trank verwehren?

Nennst du ein' Dichter deinen Freund
Wird man dich stets verehren

"DU HAST 'SE JA NICH ALLE! Komm jetzt, ich hab Durst!"

Sei ein Mann?!

Ich weiß nicht woran es liegt, aber ich bin in letzter Zeit dermaßen sentimental, dass ich nur ein wenig traurige Musik, am besten ein Klavierstück in D-Moll, oder eine herzzerreißende Szene in einem Buch oder Film brauche, und sofort beginne ich zu weinen. Es ist schrecklich. An meinen Ärmeln bilden sich bereits Salzkrusten. Dabei möchte ich doch nur genauso männlich sein, wie meine Vorbilder Harry Wijnvoord und Rudi Carell. Seit Jahren träume ich von meiner eigenen Show, die ich mit einem bunten Paillettenjacket moderiere und sogar einen eigenen Song habe, in dem mein Name vorkommt. Aber ich schweife ab. Vielleicht sollte ich vier Wochen in den Wald gehen und nur mit einem Kompass versuchen zu überleben, damit aus mir wieder ein richtiger Mann wird, so mit Schlieren an den Händen und ganz vielen Haaren überall. Einer, der dem Ruf der Wildnis folgt und nicht daheim sitzt und Gedichte schreibt. Womöglich klappt es dann endlich wieder mit der Liebe, wenn die Frauen meine neu entdeckte animalische Seite kennenlernen und ich es schaffe Baumstämme auf den Schultern zu tragen. Oder ich verzichte erstmal auf meine Kuschelsocken und drehe die Heizung nur noch auf zwei anstatt auf vier.

Hungrig?

Da mich jedes mal, nachdem ich den Entschluss gefasst habe mit Dingen aufzuhören, oder zumindest eine Zeit lang auf sie zu verzichten, die, als allgemein nachgewiesen, schlecht für die Gesundheit sind, die Absurdität des Lebens überfällt, an einen Stuhl fesselt und zwingt weiter zu machen, werde ich wohl in den Genuss eines frühen Todes kommen. Wenn ich es aber selbst im nüchternen Zustand schaffe einzuschlafen, während die letzten Pizzabaguettes hilflos im Ofen verbrennen, dann ist das weder die Schuld etwaiger Spätfolgen verkommener Existenz, sondern ganz allein meine. 2020 Stay Hungry🍕

1.1.20

Als mich gestern Nacht der Taxifahrer 100m vor meinem Haus hat absetzen müssen, weil es ein paar Häuser weiter gebrannt hatte und die Straße gesperrt war, war ich so emotional, betrunken und froh, dass es nicht bei mir brannte, dass ich einen Feuerwehrmann umarmte und ihm sagte, dass ich froh bin, dass es ihn gibt. Ich glaube, die Polizistin hat sich eine Träne verdrückt. Natürlich konnte auch keine Straßenbahn fahren und nachdem ich einen kurzen aber amüsanten Plausch mit dem Straßenbahnfahrer hatte, der auf der Straße stand und sich mit einem Herren unterhielt, schenkte ich ihm eine Flasche Sekt, die ich noch im Jutebeutel dabei hatte. Ich weiß auch nicht, muss wohl am Alkohol gelegen haben. Heute morgen habe ich dann den Rest von 2019 erbrochen. Es roch nach Haselnussschnaps. Happy New Year😌