Donnerstag, 30. Juli 2020

„L&R 1955“

Selbstverständlich versuchte ich den rötlich schimmernden Ring, als ich ihn auf dem Parkplatz vor meinem Lieblingsdiscounter fand, sofort an meinen Zeigefinger zu stecken, in der Hoffnung irgend etwas Magisches würde geschehen, doch er ging mir gerade bis über die Fingerkuppe. Ich hatte mir schon ausgemalt welchen Schabernack ich treiben würde, könnte ich mich unsichtbar machen, oder die Zeit anhalten, aber meine dicken Wurstfinger haben mir wieder einen Strich durch die Rechnung gemacht. Auf der Innenseite des Rings war jedenfalls etwas eingraviert „L&R 1955“, was auf einen eventuellen ideellen Wert schließen ließ , aber vor allem ein möglicher Hinweis auf das Alter des Trägers oder der Trägerin war. Da sich zwischen Lieblingsdiscounter und hippem Laden für Kinderwägen im Retro-Designe, ein Altersheim befand, war mir schnell klar, was ich als nächstes zu tun hatte. Ich hinterließ also auf Bitte der Dame an der Rezeption meinen Namen und Telefonnummer und ging in der Hoffnung nach Hause das Richtige getan zu haben. Einige Tage später meldete sich eine alte Frau am Telefon, die mir hörbar gerührt erzählte, wie froh sie darüber sei, den Ring wieder zu haben und was für einen immensen Wert er für sie habe. Weil sie sich unbedingt erkenntlich zeigen wollte, schlug sie mir einen kleinen Finderlohn vor und ich willigte ein. Und dann, ganz plötzlich, fühlte ich mich doch ein wenig verzaubert. Denn auch ohne im Besitz  von magischen Fähigkeiten gewesen zu sein, hatte ich es geschafft, zumindest an diesem Tag, die Welt ein bisschen besser zu machen.

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