Wie lange der Schimmel brauchte, um das gesamte Spülbecken auszufüllen, ist mir nicht bekannt. Ich schüttete nur immer wieder das Nudel- und Kartoffelwasser, das wie Superdünger gewirkt haben musste, über das dreckige Geschirr, das inzwischen selbst aussah, als stünde es kurz davor ein Bewusstsein zu entwickeln. Eines Nachts stand ich also auf, um zu pinkeln, als mir ein strenger Geruch in die Nase stieg, der seinen Ursprung unweigerlich in der Küche haben musste. Je näher ich ihm kam, desto mehr erinnerte er mich an vergorene Milch. Ich beeilte mich so schnell wie möglich vorbei an der Küche ins Badezimmer zu kommen und hielt dabei Nase und Mund geschlossen. Eine Lösung musste her. Aber nicht jetzt, dachte ich, morgen, morgen reicht völlig. Spülen. Luft anhalten. Zurück ins Bett.
Ich war schon immer stolz auf meine Fähigkeit zu improvisieren. Ein Problem, mit dem Minimum an Möglichkeiten zu lösen, und sei es auch nur vorübergehend, lässt mich regelmäßig über mich hinauswachsen. Eingeschnappte Türen mit einem zusammengefaltetem Stück Pappe zu öffnen, weil sich mein fünfundsechzigjähriger Nachbar nachts um halb zwei aus seiner Wohnung sperrt, ist dabei einer meiner leichtesten Übungen. Für gewöhnlich befasse ich mich mit verstopften Abflüssen, der Überbrückung elektronischer Kontakte, oder der Umfunktionierung von Möbelstücken. In diesem Fall, ging es darum, unerwünschte Tätigkeiten wie Abwaschen, unter Berücksichtigung des Geruchsproblems und zugleich wünschenswertem Wachstumsrückgang besagtem Schimmel, soweit wie möglich hinauszuzögern. Ich dachte sofort an die Erste-Hilfe-Decke, die irgendwo noch rumliegen musste und striktem Düngerverbot. Dies bedeutete, den Topf mit dem kochenden Wasser, bis ins Badezimmer zu tragen und es wahlweise in die Toilette, das Waschbecken oder die Badewanne zu gießen. Die Erste-Hilfe-Decke konnte ich nicht finden, also blieb das schwerwiegendere Problem bestehen. Das nächste an was ich dachte, war die Bibel: Auge um Auge, Zahn um Zahn, Gleiches mit Gleichem vergelten. Wieso eigentlich nicht? Ich hatte schon immer darauf gehofft, dass mir meine kindliche Gottesfurcht eines Tages etwas nützen würde. Die Badarmaturen standen voll von kleinen Parfümpröbchen meiner Ex-Freundin, die sie ständig aus den Modezeitschriften herausriss, aber nie kaufte. Ich glaube, sie war mehr am Klauen interessiert, als am Kauf eines neuen Duftes. Ich öffnete eines nach dem anderen und entschied mich für das am stärksten duftende und tröpfelte es auf verschiedene Stellen über das Geschirr, das mit leisen Zischgeräuschen antwortete. Zumindest bildete ich mir das ein. Vorsichtig hielt ich meine Nase darüber, fächerte mir respektvoll etwas Luft zu und atmete in kleinen Portionen. Man kann es sich ungefähr so vorstellen, als wolle man den Gestank eines drei Tage alten Kadavers mit einem Wunderbaum neutralisieren. Ein Teil des Erbrochenen konnte ich mit meinen Händen auf dem Weg zur Toilette auffangen. Aber so schnell gab ich nicht auf. Vielleicht brauchte ich einfach einen ganzen Wald voller Wunderbäume. Ich machte mich sauber, mischte das Parfüm aller Fläschchen, die ich finden konnte in einem alten Zahnputzbecher zusammen und kippte es mit einer Handbewegung in Richtung Kadaver. Ich rannte zurück ins Schlafzimmer, um mir ein T-Shirt vors Gesicht zu binden und erinnerte mich an den alten Bettbezug aus meiner Kindheit, auf dem alle vier Turtles in wilden Kung-Fu-Posen abgebildet waren. Die Perfekte Abdeckung.
Zwei Wochen später hatte sich der Schimmel tatsächlich, bis auf wenige Stellen zurückgezogen und es gelang mir mit Hilfe geeigneter Schutzausrüstung die Gläser, Teller und Töpfe in das heiße Wasser der Badewanne zu manövrieren, ohne dem Risiko einer Kontamination ausgesetzt zu sein. Wenn ich mir also das nächste Mal eine Zeitung kaufe, werde ich mich sicherheitshalber ausreichend über die neusten Trends der Modebranche informieren. Es lohnt sich immer zu wissen, was gerade en vogue ist.
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