Mathis und ich haben augenscheinlich nicht viel gemeinsam. Seine Eltern gaben ihm einen französischen Vornamen, obwohl beide deutsch waren. Vielleicht stand seine Mutter auf eine bestimmte Daily-Soap und hatte sich in die männliche Hauptrolle namens Mathis verliebt: einst vagabundierender Taugenichts und nun wiedergefundener Erbe eines Weinimperiums. Oder der Vater seines Vaters wurde im zweiten Weltkrieg, trotz aller Umstände, von einem französischen Soldaten mit dem Namen Mathis, vor dem sicheren Tod gerettet. Wer weiß das schon, irgendeinen Grund gab es bestimmt. Das seltsame ist, dass der Name wirklich zu ihm passt. Mathis bedeutet "Geschenk Gottes", und vielleicht ist er das. Er steht auf glänzende Dinge. Alles an ihm glänzt. Der Aufdruck seines T-Shirts, seine goldene Kette um den Hals, seine Uhr und selbst seine Schuhe. Ich hingegen sehe irgendwie verbrannt aus. Ich trage dasselbe schwarze Hemd wie immer, eine schwarze Hose und irgendwelche dunklen Schuhe. Ich möchte nicht auffallen. Die Dinge sind eben wie sie sind. Mathis und ich kennen uns schon eine Ewigkeit. Ab einem bestimmten Alter steht es einem zu das Wort Ewigkeit in Bezug auf Freundschaften zu verwenden, davor klingt es eher naiv, weil man sich noch nicht darüber im klaren ist, wie lange oder kurz zwanzig Jahre sein können. Die Krisen, die wir zu überwinden hatten und haben, haben uns das ein oder andere Mal auseinandergetrieben, aber wir haben uns nie wirklich aus den Augen verloren. Mathis ist vor zwei Tagen aus dem Gefängnis entlassen worden und hat sich einen durchaus beachtenswerten Körper antrainiert. Das ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich ihn in so guter Verfassung sehe. Seit meiner letzten Beziehung vor fünf Jahren habe ich mich, nun ja, etwas gehen lassen. Wenn man damit sagen möchte, dass ich ein paar Kilos zu viel habe. Was soll's. Er hält mir seinen Arm in typischer Kraftpose hin und sagt, ich solle seinen Bizeps anfassen und dann seine Brustmuskulatur auf Festigkeit überprüfen. Ich tue beides nur, um ihm einen Gefallen zu tun. Er hat es verdient sich zu freuen und ich freue mich mit ihm. Da er die meisten seiner Verbrechen unter dem Einfluss von bewusstseinserweiternden Substanzen und Alkohol beging, wohnt er vorübergehend in einem kleinen Zimmer innerhalb einer WG für Menschen mit Suchterkrankung. Er hat nicht viel, sagt er, "leichtes Gepäck", als wäre jedes Gramm mehr eine Belastung, womit ich ihm absolut zustimme, und dennoch, ich meine etwas Bedauern in seiner Stimme zu hören. Wir sitzen und reden so wie immer. So wie früher. Doch Mathis nimmt jetzt einen großen Schluck aus seiner Wasserflasche und öffnet sich danach eine Dose Energy. Seine Dritte heute, sagt er. Dass mit dem Koffein und dem Zucker, sei eine Art der Suchtverlagerung, haben die Ärzte und Psychologen gesagt, aber das würde sich mit der Zeit wieder legen. Ich trinke und rauche, öffne mir innerhalb einer Stunde das dritte Bier. "Trink ruhig...", prostet er mir zu, "...mir macht das nichts. Ich darf sowieso nicht trinken, Pisstests und den ganzen Scheiß, verstehst du?". Ich verstehe.
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