Montag, 23. September 2019

...und dann noch eine.

Ich stehe auf um nicht mehr liegen zu müssen und setze mich auf die Couch. Das Drehen und Wenden ist sinnlos. Die Wände sind warm und das Zimmer wirkt kleiner als sonst. Der Couchbezug passt sich sofort meiner Körpertemperatur an und ich rutsche hin und her, um schließlich wieder aufzustehen. In der Schale, die ich mit Wasser für durstige Vögel befüllte und auf das Fenstersims stellte, schwimmen tote Fliegen und Spinnen. Eigentlich wollte ich Leben retten, aber es ist wie es ist. Ich schütte das Wasser in die Toilette, fülle neues hinein und stelle sie wieder nach draußen. Jeder verdient eine Chance, und dann noch eine.

Sei du selbst!

Es ist völlig egal wie du rumläufst, auch, wenn du dich mal schick machst und dein Viertel verlässt. Solange du noch immer von zwielichtigen Gestalten nach Alufolie und Ascorbinsäure gefragt wirst, weißt du, du bist noch du selbst. Die Särge unter deinen Augen sind auch da wenn du lächelst, und auch mit neuen Schuhen lässt sich deine gebückte Art zu gehen nicht verheimlichen. Sie wissen bescheid, sie wissen was du bist. Und obwohl du das Schlimmste bis jetzt vermieden hast, werden sie da sein, wenn du schwach wirst. Sie warten auf dich, wenn der Drink nicht mehr hilft, wenn du müde bist, und einen warmen Platz brauchst an dem du hundert Jahre schlafen kannst. Schlafe nicht! Bleib wach! Geh nach Hause, und leg dich hin!

Dienstag, 3. September 2019

Hallo Deutschland

Ich weiß noch, als ich als siebenjähriger Junge auf amerikanischen Panzern herumkletterte, Hotdogs aß und Cola trank, eine Feldmütze trug, die ich von einer jungen, amerikanischen Soldatin geschenkt bekommen hatte, und Krieg noch eine coole Sache war. Einmal im Jahr war offene Tür in der ehemaligen SS-Kaserne (heute Z-Bau), neben der ich mit meiner Mutter gewohnt habe und aufgewachsen bin. Mit Tod und Zerstörung hatte Krieg für mich nichts zu tun, ich wusste nur, dass die "Amis" unsere Freunde sind und ihre Kaugummis nach Zimt schmecken. Jeden Sonntag standen sich, in einer 2x2m Wüste, zwei Armeen gegenüber, und beide passten sie, mit samt Artillerie, in einen kleinen Stoffbeutel. Es gab nie einen Sieger, genau wie heute. Irgendwann fuhr ich mit meiner Mutter, mit der U-Bahn, in die Stadt, und fragte sie was das für Kreuze seien, die auf dem Sitz neben uns gemalt waren. Sie sagte, dass sie Hakenkreuze genannt werden, und von Menschen gemalt werden, die andere Menschen nicht mögen, weil sie nicht hier geboren sind. Ich fragte sie, warum sie sie nicht mochten, und ob Mehmet hier geboren worden sei, und wenn nicht, ob sie dann auch etwas gegen ihn hätten, den Mehmet war schließlich mein bester Freund bei dem ich regelmäßig aß. Ich durfte nicht zulassen, dass ihm oder seiner Familie etwas zustößt, also klaute ich den dicken, schwarzen Edding meiner Mutter und strich sämtliche Hakenkreuze durch, die ich fand. Ich fühlte mich wie ein Superheld, der nach jedem durchgestrichenen Hakenkreuz stärker und stärker wurde. Heute bin ich erwachsen und seh sie noch immer, aber jetzt habe ich die WAHL und setze mein Kreuz dagegen.

Ihr letzter Kampf

Sie hasst Brokkoli, und jeder soll es wissen. Irgendetwas daran bringt sie zum Weinen, und auch das Netz Orangen macht es nicht besser. Erst hatte man ihr gesagt, dass, wenn sie nicht sofort leise wäre, vor der Tür warten müsse, aber Drohungen dieser Art ließen sie völlig kalt. Ihrer jüngeren Schwester ist es sichtlich peinlich und sie schläft genervt ein. Sie will raus hier. Sie will aufstehen und durch die Gänge tanzen, denn dieser Brokkoli ist viel zu grün, als dass man neben ihm bequem sitzen könnte. Das Einzige, was jetzt noch fehlt sind Gummibärchen, doch in der Sekunde als sie nach der Packung greift, wird ihr versichert, dass sie es vergessen könne, nach so einer Vorstellung, überhaupt an Gummibärchen zu denken. Das ist noch viel schlimmer, als Brokkoli und Orangen zusammen, und ihre Fäuste treffen immer wieder die Cornflakespackung, die nach der dritten Runde schließlich K.O. geht. Dieser Kampf war ihr letzter für heute, aber ich kann in ihren Augen sehen, dass das Feuer noch brennt. Wann immer sich ihr Brokkoli in den Weg stellen wird, wird sie da sein und kämpfen. So ist es, und so wird es immer sein.

Bookwalking

Es reicht nicht 1.93m groß zu sein, erst wenn du ein Buch in den Händen hältst darfst du durch die Straßen laufen, als würden sie dir gehören. Die Menschen schreien mich nicht mehr an,wenn ich nicht auf den Weg achte, oder versuchen mich durch aggressiven Fahrstil mit ihren Kinderwägen vom Gehweg zu drängen. Seit vier Wochen wartet an jeder Ecke ein Lächeln auf mich, und die Kassiererin im Rewe City sagte, sie kenne Miranda July, woraufhin wir uns gegenseitig zunickten, als seien wir Mitglieder eines geheimen Clubs. Egal wie viele Löcher mein T-Shirt hatte, sobald ich ein Buch aufschlug und los lief, gehörte die Welt mir. Ich stand neben einer schönen Frau an der Ampel und las, während sie etwas in ihr Handy tippte, und plötzlich den Kopf hob und mich wahrzunehmen schien. Es war großartig. Seitdem gehe ich ohne Buch nicht mehr über die Straße, oder fahre Fahrrad, weil ich Angst habe überfahren zu werden, und wenn ich jemanden kennenlernen möchte, verbringe ich den Tag einfach in der Bibliothek. Falls also irgendjemand auf die Idee kommen sollte mir etwas mitteilen zu wollen, schreib es einfach auf, ich werde es lesen, irgendwann, irgendwo, auf einer ewigen Straße Richtung Sonne.